Friedhelm Neidhardt im Gespräch

Friedhelm Neidhardt im Gespräch

Friedhelm Neidhardt war 1994 bis 2000 Präsident des WZB. Seit 1988 hatte er die WZB-Abteilung Öffentlichkeit und soziale Bewegungen geleitet. Er ist am 31. Oktober 2023 in Berlin gestorben.

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Das komplette Interview vom 10. April 2014 als Transkript

Gabriele Kammerer: Lassen Sie uns vorne anfangen. Mich würde interessieren, wie Sie zum ersten Mal vom WZB erfahren haben. Ich vermute, dass Sie das von der Gründung an im Blick hatten?

Friedhelm Neidhardt: In der Tat kannte ich das WZB, bevor ich selber Mitglied des WZBs wurde, das hing aber vor allen Dingen damit zusammen, dass ich von 1980 bis 1987 Mitglied des Wissenschaftsrats und dann später auch Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats war. Und im Wissenschaftsrat lernt man ja doch die Wissenschaftslandschaft der Bundesrepublik gut kennen. Da war es nicht überraschend, vom WZB zu hören und mit dem WZB auch ein bisschen zu tun zu haben. Dies hat auch dazu geführt, dass ich dann zum Ende meiner Amtszeit im Wissenschaftsrat gebeten wurde, Mitglied des Kuratoriums des WZB zu werden. Bevor ich Mitglied wurde, war ich also Kuratoriumsmitglied. Also Sie sehen, ich habe eine Vorgeschichte.

Und was war das Bild, das Sie vom WZB hatten, bevor Sie hierhergekommen sind?

Ein Bild, das später nicht wesentlich korrigiert werden musste. Immer eine stattliche Einrichtung, die immer auch herausragte aus der Landschaft der Sozialwissenschaften, in mehrerlei Hinsicht privilegiert. Das WZB führt sich ja auf eine Gründung der späten 60er Jahre zurück, nicht als wissenschaftspolitisches, sondern als Berlin-politisches Projekt. Gerhard Jahn, Herbert Wehner und der Herr Gradl von der CDU fanden, dass man etwas tun müsste, um die Symbolik Berlins auch gegenüber dem Osten zu stärken und zu erleuchten. Und in dieser Zeit gab es gerade in Berlin auch Probleme an den Universitäten, und gerade deren sozialwissenschaftliche Forschung wurde doch marxistisch-leninistisch beeinträchtigt, sagen wir mal, und da entstand der Plan, doch etwas zu tun und sich das auch was kosten zu lassen. Seitdem lebt das WZB gegenüber anderen Einrichtungen privilegiert.

Privilegiert in finanzieller Hinsicht?

Durch Aufmerksamkeit, durch die finanzielle Zuwendung, die natürlich mit sich gebracht hat, dass wir gute Wissenschaftler rekrutieren konnten, und zwar auf allen Ebenen, also auch nicht nur die Direktoren konnten geworben werden mit gutem Geld, sondern auch die Mitarbeiterpositionen waren gegenüber denen der Universität weit überdurchschnittlich. Das hat übrigens glaube ich allen Präsidenten, auf jeden Fall mir, ein starkes Verpflichtungsgefühl gegeben. Wir mussten sehr gut sein, weil wir auch sehr gut behandelt werden.

Bevor Sie hier Präsident waren, haben Sie ja einige Jahre als Direktor gearbeitet, 1988 hier angefangen. Wie kam das, dass Sie hier die Zelte aufgeschlagen haben?

Ich war wie erwähnt im Kuratorium, und irgendwann hat der Präsident und dann auch der Vorsitzende des Kuratoriums mich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, selber am WZB zu forschen und was mir denn Spaß machen würde, am WZB mit den besonderen Mitteln des WZBs auch zu tun. Und als ich mit meiner Familie überlegt hatte – alles war ja noch im Zeichen der Mauer, Berlin war eine Insel, isoliert – und alle dafür waren, dass wir dieses doch mal riskieren sollten, also ich und meine Frau auch in den 50ern noch mal wechseln und etwas anderes zu beginnen, da bin ich aus dem Kuratorium ausgetreten natürlich, und dann ging meine Rekrutierung durch die verschiedenen Gremien. Ich konnte mir, und das gehörte immer mit zu den besonderen Attraktionen des WZBs, mein eigenes Forschungsprogramm zuerst einmal wünschen, und ich habe zum Thema Öffentlichkeit, soziale Bewegungen ein Programm, ein Rechercheprogramm entwickelt, das fand Gefallen. Dann kriegte ich den Ruf, und dann haben wir uns gesagt, ja, das machen wir, und wir hatten uns auch darauf eingestellt, die bedrängten Verhältnisse Berlins gut zu ertragen. Als wir dann hier waren, dauerte es nur ein Jahr und dann fiel die Mauer, und alles wurde ganz anders.

Das klingt ein bisschen wie im Märchen. Da kam eine Fee und sagte: Was wollen Sie denn forschen, was wollen Sie machen? Überlegen Sie sich was.

Es gab natürlich im WZB selber Vorstellungen, in welchem Bereich man sich gut ergänzen könne und was man sich wünschen würde, da trafen dann Vorlieben aufeinander und ergänzten sich, unterstützten sich. Ich muss sagen, dass ich auch vorher in meiner Station in Köln als Nachfolger von René König am großen Forschungsinstitut für Soziologie, dass es mir da ausgesprochen gut ging und dass mich nichts weggetrieben hat. Es war also kein Abstoßungs-, sondern ein Anziehungseffekt, der mich nach Berlin gebracht hatte, und dabei spielte diese Stadt eine Rolle, auch gerade in der Bedrängnis und in der Not dabei zu sein. Und dann waren meine Forschungspläne eine Weile doch, genauer gesagt praktisch drei Jahre lang, irritiert dadurch, dass ich vom Senator gebeten wurde, Gründungsdekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu werden. Dem habe ich mich nicht entziehen wollen und wusste allerdings noch nicht, in welchem Maße es mich fordern, auch belasten würde, denn es ging ja nicht nur darum, einen Fachbereich mit neuen Studienplänen für Studenten aufzubauen und in dem Zusammenhang 17 Professuren einzurichten, sondern es ging – und das war das viel Heiklere und Schwierigere und Belastendere – darum, die vorhandenen Alt-Humboldtianer aus der DDR-Zeit zu prüfen und zu vermessen daraufhin, ob sie auch in der neuen Humboldt-Universität eine Chance bekommen sollten. Und Sie können sich vorstellen, wie die Sache allen Beteiligten, die dann an der Studienreformkommission beteiligt waren, unter die Haut gegangen ist, wenn Sie hören: Von den mehr als 60 Leuten, die wir vorfanden an Humboldtianern, haben nur 15 eine Chance bekommen zu bleiben, und wir wussten alle, der Rest geht in die Arbeitslosigkeit. Und ich habe das nur ertragen mit Gedanken an die Studentengenerationen, die ein Recht auf gute Ausbildung haben. Ich habe mich in vielen Einzelfällen immer wieder gefragt, ist das jemand, der die Studenten mitnehmen kann in die Sozialwissenschaft und das hieß in diesem Fall Soziologie, Politikwissenschaft und Bevölkerungswissenschaft. Es war mein Glück, dass ich enorm gute Mitarbeiter hatte, so dass das Abteilungsprogramm überhaupt laufen konnte. Ich selber habe dann doch sehr kurz getreten eine Weile und habe etwa zwei Bücher nicht geschrieben, die ich gern geschrieben hätte.

Das war ja auch die Zeit, als einige Ost-DDR-Wissenschaftler hier im WZB eine neue Wirkungsstätte gefunden haben. Wie haben Sie als WZB-Direktor die Integration erlebt?

Das war wenig aufregend für mich, zumal ich an anderer Stelle mit dem Osten zu tun hatte. Die Einbettung von zwei Gruppen aus dem ehemaligen DDR-Akademien-Komplex hier ins WZB, das war eine Sache von Wolfgang Zapf. Der hat sich da sehr bewährt und man kann glaube ich – und das würden wohl auch die Betroffenen sagen – die Art, wie er mit ihnen umgegangen ist, nur anständig nennen. Er hat das sehr gut gemacht, auch mit gewissen Konzessionen im Hinblick auf Erwartungen, mit Ermutigungen, auch mit Zuwendungen an finanziellen Mitteln. Der Wissenschaftsrat hatte das WZB gebeten, da etwas zu tun, und Zapf hat das gleich aufgenommen.

Auch in anderer Hinsicht war das ja eine nicht vorherzusehende Zäsur 1989, nicht vorherzusehen, als Sie ‘88 hierhergekommen sind. Wie haben Sie denn die Veränderung erlebt? Wir sitzen hier in diesem Gebäude, was 1988 ganz am Rand Westberlins lag und dann plötzlich mittendrin.

Es machte sich zuerst einmal darin bemerkbar, dass ich viel länger Zeit brauchte, um hierher zu kommen, denn als ich hier anfing, gab es wenig Verkehr, etwa 300, 350 m östlich von dieser Stelle, lief eben die Mauer. Da gab es wenig Sightseeing, oder vielleicht Sightseeing, aber keine Geschäfte, die den Verkehr hätten anziehen können. Und als dann die Mauer fiel, wurde es hier belebter, und wir brauchten dann auch irgendwann einen eigenen Parkplatz – vorher konnten wir hier frei parken. Aber das war nur eine äußere Sache. Es kamen dann sofort auch die Fragen auf, was können wir tun für die gebeutelten Kollegen und Kolleginnen in der DDR? Und da war dieses Programm, das Zapf getragen hat, schon ausgesprochen wichtig. Es kam dann auch etwas anderes hinzu über die DDR hinaus: Osteuropa, die postsowjetischen Staaten, die waren überhaupt nicht im Blick der WZB-Forschung. Das WZB war von Anfang an eingerichtet auf die Erforschung von Problemlagen moderner Demokratien. Das hieß, weder Entwicklungsländer spielten eine Rolle – mit Ausnahme gewisser Vergleiche mit diesem oder jenem afrikanischen oder asiatischen Land – und auch die sozialistischen Staaten spielten keine Rolle. Die Konzentration lag auf dem OECD-Raum, die meisten Kontakte und auch Vergleichsprojekte der international vergleichenden Forschung liefen Richtung USA, die Ökonomen hatten immer zahlreiche Kontakte und Neugierden bezogen auf Japan. Wir haben, das würde ich im Nachhinein auch für meine Zeit als Präsident sagen, zu wenig gemacht, um den Wandlungsprozess der ehemals sozialistischen Staaten hin zu demokratisch verfassten kapitalistischen Regimen zu verfolgen. Da hätten wir eine Aufgabe gehabt. Es gab ja einen Überfall des Neoliberalismus, der die vorhandenen Institutionen abräumte, um den Markt frei zu machen, mit erheblichen Problemfolgen z. B. im Hinblick auf die Entwicklung unverschämter Ungleichheiten. Diese erinnerten an das Amerika des späten 19. Jahrhunderts, der Wilde Westen wurde nun Wilder Osten. Da hätten wir schon sagen können: Welche Art von sozialwissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Theorie steckt eigentlich hinter der Transformationspolitik bezogen auf Polen, Ukraine, Rumänien, Bulgarien, die Sowjetunion, Russland? Das haben wir nicht angefasst. Ich selber habe mich bemüht, Kontakte auf persönlicher Ebene mit Polen kollegial zu gestalten, aber wir haben es nicht zum großen Forschungsthema gemacht.

Wie erklären Sie sich das, dass das versäumt wurde? Also eigentlich hat das WZB doch einen ganz guten Riecher bewiesen damit, Themen, die gerade dran sind, gesellschaftlich aufzugreifen und sogar vor anderen Einrichtungen und Universitäten ein Thema draus zu machen – Umweltforschung, Technikfolgen, es gibt viele Beispiele im Haus. Wie kommt es, dass Sie an dem Punkt sagen müssen: Da haben wir was verpasst?

Es fehlten uns die einschlägig erfahrenen und spezialisierten Kollegen und Kolleginnen dafür. Es war eine Zeit, in der das WZB – vielleicht kommen wir noch mal unter dem Titel Schrumpfung darauf – die Mittel zurückfahren musste, so dass wir wenig Spielraum hatten, neue Initiativen zu erfinden und einzurichten. Es war aber vielleicht auch eine gewisse Befangenheit. Es gab etablierte Kooperations- und Netzwerke, die im Westen lagen, im OECD-Raum, und die waren so interessant und auch in Teilen immer wieder produktiv, dass man das andere noch nicht gemacht hat. Ich muss Ihnen sagen, mir fällt das auch erst im Nachhinein so stark auf, nämlich mit Bedrängung und Aufregung. Diese Frage: Was ist da eigentlich los gewesen, und wir haben es nicht richtig gemerkt? Es war ja doch ein Vorgang mit vielen Turbulenzen, und neben dem Glücksgefühl, das entstand – hier sind alte Zwänge gebrochen worden, die Menschen sind freier und sagten uns das auch – entstand erst langsam im Zusammenhang mit den Prozessen des Wandels auch die Schattenseite dieses Prozesses. Es gab Forschungen dazu, aber keine fokussierte Anstrengung.

1994 haben Sie die Leitung dieses Hauses als Präsident übernommen. War das organisch – vom Direktor zum Präsidenten?

Es war keine angelegte Karriere, aber als die Zapf’sche Amtszeit zu Ende ging – und ich weiß gar nicht, ob er hätte wiedergewählt werden können, auf jeden Fall wollte er nicht –, entstand die Frage, was nun. Und damals hat man noch nicht den Schritt gemacht, den ich selber dann als amtierender Präsident befördert habe, als es um meine Nachfolge ging, von außen jemanden zu holen, mit frischem Blick, noch nicht eingewickelt in die Loyalitäten und Befangenheiten des Hauses. Ich steckte nun mittendrin und kam aus dem Haus, hatte den Vorteil des Insiderwissens, der Kenntnis aller vorhandenen Temperamente und Zickigkeiten, und dann kam die Anfrage. Es gab auch im Haus eine Vollversammlung, der ich mich stellen musste, wie ich mir das denn vorstellte. In dem Zusammenhang kam auch von ein, zwei Leuten die Zumutung, ich sollte doch meine Abteilung aufgeben, wenn ich Präsident würde, weil ich ja sonst zu befangen wäre im Hinblick auf die Themen meiner eigenen Abteilung. Das habe ich abgelehnt und habe gesagt, wenn mir das zugemutet würde, würde ich es nicht machen wollen. Das spielte bei meinen Nachfolgern Kocka und Allmendinger auch eine große Rolle: Man muss selber weiter Forschung treiben, sonst professionalisiert man sich ins Management hinein und verliert den lebendigen Kontakt zur Rationalität, zu den Bedürfnissen von Forschung und Lehre und Wissenschaft.

Und das ist auch gelungen in Ihrer Amtszeit, wirklich weiterhin Zeit und Kraft zum eigenen Forschen und wissenschaftlichen Arbeiten zu haben?

Nein, viel zu wenig, es traf dann eigentlich gleichermaßen wie für mein Humboldt-Engagement zu, dass ein, zwei Bücher auf der Strecke geblieben sind, die ich hatte schreiben wollen. Ich schätze, dass ich in meiner Amtszeit ungefähr zu drei Vierteln besetzt war mit Angelegenheiten des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftspolitik und der Außendarstellung, dass dann aber immerhin ein Viertel blieb, um an der Forschung dran zu bleiben, um zu wissen, was Forschung ist.

Hatten Sie denn einen Master-Plan, eine große Vorstellung, als Sie hier als Präsident angefangen haben, da möchte ich das Haus hin entwickeln oder hinführen?

Nein, so kann man es sicherlich nicht sagen, denn ich war zu sehr einverstanden mit der Präsidentenpolitik von Herrn Zapf. Sein Nachfolger zu sein bedeutete, nicht alles anders machen zu wollen und anders machen zu müssen. Ich hatte den Vorsatz, etwas für die Qualifizierung der WZB-Forschung zu tun ganz allgemein. Selber sehr gut behandelt und ausgestattet, muss man auch eine sehr gute Forschung machen, und ich hatte das Gefühl, dass wir in methodischer Hinsicht nicht an der Front arbeiten. Vor allen Dingen die qualitative Forschung, die hier eingerichtet war, war für manchen doch ein Freifahrschein: „Anything goes“, man guckt nur mal hin und spricht mit Leuten. Dass auch die qualitative Forschung Regeln hat und beachten muss, das war noch nicht so verbreitet, vor allen Dingen in den internationalen Vergleichen. Also es gab eine gewisse Akzentsetzung auf Qualifizierung der Forschung. Dann aber spielt auch eine Rolle, etwas verstärken und auch umwandeln zu wollen, was ja von Anfang an in die Geschichte des WZB mit hineingehörte: Das WZB ist – bis heute – ein Komplementärprodukt zu den Universitäten und konnte sich selber und kann sich selber (das wird zunehmend schwierig seit der Exzellenzinitiative) nur rechtfertigen damit, etwas Besonderes zu machen, was die Universitäten nicht können. Und die Universitäten folgen anderen Regeln, nicht nur mit ihrer Unterfinanzierung, sondern auch mit ihrer Lehrbelastung, und sie folgt anderen Strukturen, sie ist in ihren Grundstrukturen nach Lehrbedürfnissen und Studiengängen eingerichtet. Diese Studiengänge definieren die Fakultäten, also die Fächer, die zusammengehören; das ist nie nach Forschungsgesichtspunkten in erster Linie ausgerichtet gewesen. Den Universitäten fällt es schwer, oder fiel es schwer zumindest, in den Sozialwissenschaften große, langfristige Forschung, interdisziplinäre Forschung und auch internationale Forschung fortzuschreiben, zu entwickeln, zu verbessern. Ich habe besondere Akzente gelegt auf die Etablierung großer Forschungskomplexe, denn das WZB hatte, anders als die Drittmittelforschung an den Universitäten, das Vorrecht, langfristig planen zu können. Das wollte ich fördern. Im Hinblick auf Interdisziplinarität gab es bei mir eine prächtige Utopie, nämlich die alten Staatswissenschaften wiederzubeleben, zu denen Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft und Soziologie gehören. Die sind durch die Entwicklung an den Universitäten im Grunde auseinander entwickelt worden, und ich dachte, es müsste hier am WZB besser, als ich das vorfand, gelingen, einen Schulterschluss herzustellen. Auch wenn man das Utopie-Quantum reduziert und sich auch schon über kleine Schritte der Zusammenarbeit zwischen Disziplinen freut, bleibt doch der Wunsch, da möge mehr passieren. Ich weiß nicht genau, wie erfolgreich ich gewesen bin … Bei Internationalität spielte eine Rolle, dass die OECD-Benommenheit der internationalen Forschung zurückgefahren werden sollte, also geöffnet werden sollte. Ich habe eben schon erwähnt, dass das in einer wichtigen Hinsicht nicht gelungen ist.

Ich möchte gerne nachfragen zur Interdisziplinarität. Natürlich wäre meine nächste Frage gewesen: Ist das denn gelungen? Sie scheinen zögerlich. Es ist ja ein hochkomplexer Anspruch, wirklich interdisziplinär zu arbeiten. Aber in diesem Haus arbeiten immerhin unter einem Dach verschiedene Disziplinen – gelingt es, zumindest punktuell, wirklich, dass da inhaltlich, methodisch auch zusammengearbeitet wird, dass man sich gegenseitig irritiert oder befruchtet mit den unterschiedlichen Blickwinkeln, die man zu einem Thema hat?

Ich glaube, um Ihren Begriff aufzugreifen, punktuell gelingt das immer wieder, sicherlich mehr als an den klassischen Universitäten. Noch einmal, die Exzellenzinitiative schafft neue Verhältnisse und bringt das WZB in Zugzwang, aber für die klassische Universität trifft zu, dass die Interdisziplinarität sehr schlecht zu entwickeln war. Da gab es hier im WZB besondere Möglichkeiten – aber eben auch Grenzen. Wenn man hervorragende Forschung will, dann muss man den Forschern freie Hand lassen, sich ihre Kooperationen zu suchen, wo sie sich selber für ihre Forschung produktiv finden, und dann ist der Nachbar im Haus in vielerlei Hinsicht unwichtiger als der Kollege von dort oder von der Sorbonne, und das kann auch ein Präsident nicht verhindern. Die Forscher müssen ihre Freiheit haben, ihre Partner dort zu suchen, wo sie sie selber glauben am besten finden zu können; insofern ist es ein schwieriger Balanceakt immer zu sagen: Das soll so sein und nicht gestört werden, aber es gibt auch gerade für die Spezialisierung von Forschung im Haus Möglichkeiten der Erweiterung, der Animationen durch andere Fächer, und wir müssen uns ständig bemühen – und das ist in allen Amtsperioden von Präsidenten geschehen – , bekannt zu machen, was die andern im Haus treiben. Da stellt sich immer wieder heraus, dass es verwandte Themen gibt, und ein Präsident muss das dann fördern. Für mich bestand eine Möglichkeit darin, mit dem WZB-Jahrbuch dafür zu sorgen, dass für jedes Jahr ein Forschungsausweis von zwei, drei Abteilungen gemeinsam bestritten wird. Ich habe selber z. B. mit Wolfgang van den Daele ein Jahrbuch herausgegeben unter dem Titel „Kommunikation und Entscheidung“. Ich war mit meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mehr auf massenmediale Öffentlichkeit spezialisiert, und er hatte Öffentlichkeit im kleineren Rahmen, mit großen, hochinteressanten Projekten, Politikfolgenforschung, Umweltpolitikfolgenforschung, und da haben wir beide und unsere Mitarbeiter das als sehr anregend empfunden, immer wieder zusammen zu sein und uns unsere Artikel, Entwürfe vorzustellen und zu diskutieren. Ich würde mir wünschen, dass solche Klammern noch zahlreicher eingerichtet würden im WZB. Insgesamt muss man aber das Utopie-Quantum im Hinblick auf Interdisziplinarität bescheiden halten, denn die eigenen Fächer haben ihre eigene Rationalität ausgebildet und vielerlei Methoden, Instrumente institutionalisiert, auch die Sprache für sich eingerichtet, und das kann man nicht mal hopp-hopp verändern wollen. Auf der anderen Seite gibt es doch den Druck, das zu öffnen, und je näher man der Praxis kommt, umso mehr ist dieser Druck auch vorhanden, denn die Praxis macht ihre Projekte ja nicht nach Disziplinen, sondern nach bestimmten politischen, ökonomischen und sonstigen praktischen Bedürfnissen. Also da ist ein Spannungsfeld im Haus vorhanden, das nicht zusammenhängt, und weniger als an Universitäten nach meiner Erfahrung mit vorherrschenden Konflikten. Das WZB ist vergleichsweise konfliktarm, hat Spannungslinien, die bearbeitet werden müssen und oft nicht gelöst werden können, aber irgendwie befriedet dann doch. Das hängt zusammen mit der Privilegierung des WZB. Man muss nicht so um Ressourcen streiten und kämpfen, wie es an Universitäten üblich geworden ist, und die Eifersucht aufeinander hält sich in Grenzen. Das hängt auch damit zusammen, dass bei uns auch mit bestimmten Nachteilen die Grundversorgung, die Grundeinrichtung mit Mitteln gleich verteilt wird; und Gleichverteilung ist immer Friedensformel für Kollegialitätsverhältnisse: Jeder hat genauso viel.

Also jede Abteilung kriegt gleich viel.

Jede Abteilung kriegt genauso viel, ungefähr genauso viel, die Abteilungsdirektoren sind alle gleichgestellt und können dann draus machen, was sie wollen und können. Es fehlt also diese etablierte Eifersucht zwischen Kollegen, wie sie sich an Universitäten so leicht entwickelt. Es gab in meiner Zeit auch durchaus Spannungen und Ansätze von Konflikten, auch mit dem Präsidenten. Das hing bei mir vor allen Dingen damit zusammen, als ich sozusagen ans Eingemachte ging mit der sogenannten Vier-Plus-Initiative: Ursprünglich war das WZB gebaut mit ganz wenigen großen Abteilungen, Riesenabteilungen und drei Direktoren. Dann wurde das verkleinert in diesen Prozessen, die dann auch zur Etablierung von Herrn Zapf geführt haben, also das neue WZB, das sich dann entwickelt hat 1988,- 89, -90, und da war der Standard: Jede Abteilung kriegt sechs Stellen. Das sind zum Teil im Vergleich mit Universitäten hochrangig dotierte Stellen. Ich habe dann gesagt: Lasst uns das zurückziehen auf vier, und die zwei Stellen, die eingespart werden, die kriegt der Präsident, und er verteilt sie dann, natürlich nach Konsultationen mit Wissenschaftlichem Rat und Leitungsebene, an jene Kollegen, die mit besonders interessanten Projekten WZB-förmige Forschung betreiben wollen. Diese Enteignungszumutung fand natürlich nicht zum Vergnügen der Abteilungsdirektoren statt, die haben sich dagegen sperren wollen, aber es ist durchgesetzt worden, und sie haben sich gefügt, das zumindest als eine Norm zu akzeptieren. Also da gab es schon Konflikte, aber die haben das Klima nicht im Hinblick auf interdisziplinäre Interessen versaut. Also das war nicht der Grund für die Schwierigkeiten, interdisziplinärer zu werden.

Ein Charakteristikum der Forschung hier am WZB, Sie haben es ja schon auch gestreift mit dem Stichwort Praxis, ist die sogenannte problemorientierte Grundlagenforschung. Vielleicht können Sie in Ihren Worten erklären, was das für ein Fabelwesen ist?

Wie viele Formeln ist auch diese – Sie haben in Vorgesprächen den Begriff aufgebracht – quasi eine Lehrformel, also wie die ganzen Begriffe des Grundgesetzes auch: Freiheit und die Würde des Menschen gehört zu den Verfassungszielen, aber man weiß nicht so genau, was es ist. Es muss immer wieder neu gestritten werden, und das ist gut, dass das nicht ausdefiniert ist und dass auch der Wandel der Zeiten sich im Wandel des Verständnisses dieser Begriffe durchsetzen kann, dabei hilft auf der verfassungsrechtlichen Ebene natürlich laufend das Bundesverfassungsgericht. Wir haben auch einen Bedarf an solchen Formeln, die gleichzeitig offen sind, aber einen normativen Kern enthalten. Problemorientiert heißt in der Tat, wir interessieren uns nicht für Allgemeinheiten, Systeme um der Systeme Willen, Netzwerke um der Netzwerke Willen. Also ein bestimmter Typ von Forscher würde auch nicht zum WZB passen. Ich habe bei den Möglichkeiten, neue Kollegen und Kolleginnen zu rekrutieren, z. B. nie daran gedacht, den ansonsten bewunderten Niklas Luhmann zu fragen, ob er ans WZB kommt, und wir haben nie daran gedacht, einen Ulrich Beck zu fragen. Auch Habermas würde nicht zum WZB passen. Problemorientierung heißt, wenn man es seriös betreiben will, empirisch zu werden, und das ist ein Auswahlkriterium. Gleichzeitig bedeutet Grundlagenforschung aber auch, wir wollen nicht Problemlösungsforschung betreiben und der Politik und der Wirtschaft sagen, wo es lang geht – das können die besser als wir. Wir können Orientierungen setzen und auf Möglichkeiten aufmerksam machen, Alternativen ins Spiel bringen, aber wir sollten nicht Politikberatung in einem engeren Sinne betreiben mit der Vorstellung, wir wüssten es besser als die Praktiker. Ich habe bei meinen Kontakten mit der Praxis immer wieder Bewunderung gehabt für das, was der Praxis einfällt zu sich selber. Das können wir stören mit Kritik und mit dem Aufweis davon, wie es ganz anders gehen könnte. Das ist auch wichtig, aber es umzusetzen, daraus Politik und tatsächlich Ökonomie zu machen, das ist nicht unsere Sache. Insofern heißt problemorientierte Grundlagenforschung auf der einen Seite Nähe zu den Problemen, die die Praxis bearbeitet, andererseits aber auch Halbdistanz zur Praxis. Sich nicht vereinnahmen lassen. Das gehört zu den wünschbaren Balancierungen, die in mancher Hinsicht gelingen, in mancher Hinsicht nicht, in den Abteilungen in sehr unterschiedlichem Maße. Wobei man nach beiden Seiten abrutschen kann: Man kann eher Grundlagenforschung vernachlässigen und praxisrelevant sein wollen oder umgekehrt, in beiden Fällen verletzt man das Prinzip problemorientierte Grundlagenforschung.

Wie war denn zu Ihrer Präsidentenzeit das Verhältnis zur Politik? Sie haben gerade schon das Stichwort der Halbdistanz ins Spiel gebracht. Politik ist ja auch insofern relevant für das WZB, als dort die direkten Geldgeber sind, bund-/länderfinanziert, aber natürlich ist die Politik auch inhaltlich interessiert an dem, was hier passiert.

Wir haben immer davon profitiert, dass wir Bund-Länder-Forschung sind. Das hat den Vorteil, mehr als einen Herrn bedienen zu müssen, Bund und Land. Und das ergibt dann auch die Spielräume, mal mit dem einen zu koalieren, mal mit dem anderen. Wir haben unter der Politik praktisch kaum gelitten außer dadurch, dass Berlin in Finanznot auch nach der Streichung, der radikalen robusten Streichung vieler Subventionen nicht mehr mithalten konnte in den Leibniz-Instituten; die Schrumpfung der Mittel entstand durch den Druck Berlins. Der Bund wollte uns mehr fördern, aber er war in dieses Verhältnis hineingeklemmt 3:1, und wenn Berlin mit der Zuwendung zurückgeht, muss der Bund auch zurückgehen. Insofern haben wir unter Berlin auch gelitten, gerade in meiner Amtszeit, wo die Schrumpfung so deutlich war. Später, jetzt, Frau Allmendinger geht es besser, da ist der Aufwuchs der Mittel doch sogar festgeschrieben gewesen durch den Bund im Wesentlichen. Ansonsten haben wir mit der Politik keine Probleme gehabt, weil sie uns nicht zugemutet hat, etwas Bestimmtes zu machen und etwas Bestimmtes zu lassen. Ich hatte nur einen Konflikt auf politischer Ebene, und der betraf sogar meine eigene Abteilung und die Veröffentlichung eines meiner Mitarbeiter, und zwar ging es da um Asylfragen. Da hat ein holländischer Kollege, der jetzt noch im WZB ist, zugelangt und hat ganz ungeniert die verlogene Asylpolitik der Bundesregierung kritisiert. Da kam der damalige Vorsitzende des Kuratoriums, Bernd Neumann, mit dem ich ein sehr glückliches Verhältnis hatte im Grundsatz, und sagte, bei ihm haben sich Parteigenossen, genauer gesagt CSU-Leute, beschwert, er hätte seinen Laden doch hier im WZB nicht im Griff. Darauf musste er irgendwie reagieren, und ich habe das verteidigt, was mein Mitarbeiter geschrieben hatte. Ihm lag daran, sein Missfallen zu äußern in der Kuratoriumssitzung und seinen CSU-Kollegen sagen zu können: Ja ja, ich habe denen schon Bescheid gesagt. Mir lag daran, daraus keine große Affäre zu machen, sondern zu sagen, die Wissenschaftsfreiheit deckt auch das, was hier geschrieben steht. Ich weiß noch, dass ich damals zwei Wissenschaftlerkollegen aus dem Kuratorium, die normalerweise Hau-draufs sind, vorher gesagt habe: Bitte, hier ist ein Deal, er muss was sagen und ich antworte und dann gehen wir zu anderem über, nicht skandalisieren. So ist es dann auch gelaufen, und da war die Sache weg. Aber das war so ein Einzelfall. Vor der Präsidentenzeit von Zapf gab es ja Probleme mit der Politik, weil das WZB als sozialdemokratisch galt, und das hatte Herrn Riesenhuber als CDU-Forschungsminister nicht gefallen. Wolfgang Zapf war auch deshalb die ideale Besetzung der Präsidentenrolle, weil Minister Riesenhuber ein Klassenkamerad von ihm war, und so konnte auch dieses ventiliert werden, das WZB sprang nicht über die Klinge. Eine Zeit lang hat man gedacht, die murksen das ab, aber seitdem ist davon nicht die Rede. Inzwischen hat das WZB auch ein solches Prestige, dass das nicht ohne große Lärmentwicklung passieren könnte.

Sie haben ja in einer Doppelspitze hier gearbeitet. Wie war denn die Zusammenarbeit mit Frau Neumann als Geschäftsführerin?

Kein Problem. Auch deshalb nicht, weil sie mir mit ihrer juristisch offensiveren Art, Dinge anzugehen, manches vom Hals gehalten hat. Sie setzte mich sozusagen in die Lage, ein freundlicher Präsident zu sein, und sie hat bestimmte Beschwernisse, die es im Hause gab, auf ihre Weise behandelt und ich wusste, dass sie Spaß daran hat, und sie wusste, dass mir das ganz recht war. Also wir hatten eine Arbeitsteilung in gewisser Weise, die entlang auch den vorformulierten Kompetenzen gingen, administrative Geschäftsführerin ist etwas anderes als ein wissenschaftlicher Geschäftsführer und, nein, ich kann mich jetzt auch bei Nachdenken nicht daran erinnern, dass es zwischen uns gekriselt hätte.

Lassen Sie uns vielleicht noch zu den Evaluationen kommen, das scheint mir ja auch eine Besonderheit Ihrer Zeit hier zu sein. Das WZB war ein Stück weit, wenn ich es richtig sehe, Vorreiter darin, sich selbst zu beobachten und zu evaluieren: Was machen wir hier, wo stehen wir und wo wollen wir hin.

Ja, das hing schon auch sehr stark mit mir und meinen Erfahrungen zusammen, Erfahrungen, die ich in meiner siebenjährigen Mitgliedschaft im Wissenschaftsrat gesammelt hatte in einer großen Zahl von Evaluationen, die ich durchgeführt hatte. Als es sofort nach meiner Etablierung im Amt darum ging, dass das WZB evaluiert würde, hatte ich ein gewisses Know-how, zu dem unter anderem gehört, den zu Evaluierenden immer zu sagen: Tut nicht so, als seid ihr der Weltmeister aller Klassen, und wenn ihr Gutachtern begegnet, sprecht mit denen nicht im PR-Stil, also alles spitze und so. Das reizt jeden Gutachter, der bei Sinnen ist, denn das gibt es nicht in der Forschung: problemlose Forschung. Es gibt immer irgendwelche Probleme. Als ich wusste, der Wissenschaftsrat würde kommen, habe ich die Arroganz und auch die Indolenz von Forschern im WZB gefürchtet, die ein ausgebildetes Selbstbewusstsein hatten, die selbst auch nicht gewöhnt waren, geprüft und kritisiert zu werden. Deshalb habe ich ja dann diesen Vorlauf mit dem Beirat eingerichtet, das „Audit“. Dieser Begriff ist dann nachher in der Leibniz-Gemeinschaft verbreitet worden. Erfunden habe ich ihn – um zu verheimlichen, worum es eigentlich ging. Es ging um Evaluation, aber ich musste das WZB erst daran gewöhnen, evaluiert zu werden. Da hat der Beirat wunderbar mitgespielt, der hat kritisiert und genau hingeschaut, und es gab einige externe Gutachter, und es gab also eigentlich eine Generalprobe unter Ernstfallbedingungen. Und der Begriff Audit war fremd genug, um harmlos zu sein. Wir haben bestimmte Dinge im gemeinsamen Gespräch zurechtgestutzt. Ich habe dann nachher Frau Allmendinger, als die mich bat, beraten, bevor die Evaluation jetzt im WZB gelaufen ist, zuletzt in einer Klausurtagung mit allen Direktoren. Ich habe gesagt: Sagt neben allem, was ihr für euch sprechen lassen wollt, auch, womit ihr selber nicht zufrieden seid, sagt, da ist etwas, was wir eigentlich wollen, aber noch nicht wie gewünscht erreicht haben. Ich habe immer, ich glaube auch in meiner letzten Präsidentenrede, mich berufen auf Robert Merton und seinen Begriff‚ Wissenschaft sei „organized scepticism“. Skepsis eben nicht zuletzt gegenüber sich selber. Wir haben die Evaluation im Wissenschaftsrat ja hervorragend überstanden, und das hat uns gut getan. Es hat uns überhaupt gut getan, von außen so unter den Druck einer Bewährungsprobe zu geraten, und zwar gemeinsam. Das WZB hat sich durch die Fremdbeobachtung als eine Einheit wahrgenommen, wir sitzen alle im gleichen Boot. Zu meinen schönsten Erfahrungen im WZB gehört dieser Tag am Ende der Evaluation des Wissenschaftsrats. Nachdem die Kommission sich beraten hatte, hatte ich ein Treffen mit dem Vorsitzenden der Kommission und der sagte, man sei zu einem sehr guten Urteil gekommen. Das war glaube ich ein Freitagnachmittag, wo die WZBler zum Teil schon Segeln gehen oder sonst was machen, aber es hatte sich fast das ganze Haus noch mal versammelt, und als ich dann sagte: Das Urteil ist noch nicht definitiv, aber ich höre, das WZB hätte sehr gut abgeschnitten – das war so eine spürbare Erleichterung und ein Beifall zu sich selber, dass ich dachte, man kann über Evaluationen sagen, was man will, aber diesen Effekt hat es, die Gemeinsamkeitserfahrung, die sehr integrativ ist, also zumindest in unserem Fall, nun, weil wir nicht schlecht abgeschnitten haben.

Das macht aber auch richtig ordentlich Angst, offensichtlich.

Ja, es kann ja schief gehen und man weiß, man ahnt, was herauskommen mag, aber man weiß auch nicht, welche Leute da mit welchen Kriterien kommen und etwas sagen, da hat man auch schon sonderbare Sachen erlebt. In der Tat gibt es da Risiken. Da würde ich aber sagen, es ist ja gar nicht schlecht, auch mal Angst zu haben.

Herr Neidhardt, wir sind ja in der glücklichen Situation, dass Sie die ganze Zeit des WZB überblicken können. Sie sind der mittlere Präsident gewesen mit Stand jetzt, die fünfte ist jetzt dran, Sie waren der dritte, Sie haben also so eine Art Mittelzeit erlebt. Wenn wir den großen Bogen wagen, war Ihre Zeit dem Anfang ähnlicher oder der Jetztzeit, oder ist das ein gleich verteilter Bogen, wenn Sie drüberblicken?

Ach, das könnte ich nicht so genau vermessen, weil ich von den Anfängen auch nicht soviel weiß, wie Sie unterstellen. Ich glaube schon, dass das WZB zu meiner Zeit den jetzigen Zuständen ähnlicher ist als den Anfangszuständen. Wenn ich riskieren sollte einzuschätzen, was sich da über die Zeit hin verändert hat, würde ich mehrerlei sagen. Erstens: Ich glaube schon, dass das WZB sich professionalisiert hat in methodischer Hinsicht, es ist am Anfang da etwas liederlicher gewesen, freischaffender. Zweitens: Die Diversifizierung der Forschung ist enorm gestiegen, vielleicht auch unbequem stark gestiegen. Zu Anfang gab es diese drei großen Abteilungen, und danach gab es acht Abteilungen und inzwischen gibt es auch diese Abteilungen, aber sehr viel Kleinkram drum herum. Ich habe mit Frau Allmendinger darüber immer wieder gesprochen, ich finde das auf der einen Seite sehr schön, das sind ja auch einfach Teststrecken, die für bestimmte kleinere Themen eingerichtet werden, auch z. B. für Nachwuchsleute oder zum Probieren, wo man noch nicht genau weiß, soll daraus eine Abteilung mal werden für eine langfristige Forschung. Verändert hat sich sicherlich der Außendruck auf das WZB und das heißt auch das Ausmaß, in dem Öffentlichkeitsarbeit wichtig geworden ist. Meinolf Dierkes, mein Vorvorgänger, der hatte so ein Temperament der Selbstdarstellung, das sich auch für die Außendarstellung eignet. Ich war in der Hinsicht etwas schüchterner und ähnlich wie Wolfgang Zapf, also wir haben Öffentlichkeit eher als etwas Unheimliches empfunden. Ich habe ja selber über Öffentlichkeit intensiv gearbeitet. Je mehr ich darüber gearbeitet habe, umso unheimlicher ist sie mir geworden. Wie auch immer: Es entsteht ein Druck, dem man heute nicht mehr weglaufen kann als Präsident einer solchen Einrichtung wie das WZB. Wenn man so stark von Steuermitteln zehrt, dann muss man dem Steuerzahler auch etwas sagen, wofür das ist und weshalb das ist, das ist die Legitimität von Öffentlichkeitsarbeit. Dass dabei viel Falschmünzerei betrieben wird, ist das Unangenehme und macht auch das Geschäft schwierig. Also in dieser Hinsicht ist der Druck gestiegen, er macht sich auch darin bemerkbar, dass wahrscheinlich die Betriebsamkeit im Haus größer geworden ist. Wir hatten noch mehr Ruhe, und ich glaube, dass ein Präsident sein Haus auch verteidigen sollte gegenüber Forderungen und ständigen Nachweisen seiner eigenen Bedeutung. Man muss auch mal für ein Jahr verschwinden können, um ein Buch zu schreiben und nicht die Zeitungen links und rechts zu bedienen, und ich hatte Frau Allmendinger auch geraten oder damals schon meinen Abteilungsdirektoren, gebt doch Leuten, einem Mitarbeiter und Mitarbeiterin, die ihr sehr tüchtig findet und die an etwas dran sind, was sie ausarbeiten sollen, gebt ihnen doch eine Auszeit, dass sie einfach in der Tat mal ein Dreivierteljahr auch vielleicht auf Mallorca sitzen in einer Eigentumswohnung von irgendeinem anderen, wo sie arbeiten können und nicht ständig hier antanzen müssen. Das wäre heute schwieriger durchzuführen als damals, der Evaluationsdruck ist gestiegen. Ich bin ja nun ein Profi im Evaluieren und habe das immer auch verteidigt, aber ich fürchte, je mehr diese Welle läuft, auch die unangenehmen Folgen, nämlich die Überreizung der Kontrolle. Die Forschung stellt sich darauf ein und wird kurzatmiger, weil sie sich ständig beweisen muss. Also da gibt es einige Herausforderungen, die bedacht sein müssen. Die waren nicht vorhanden in dem alten WZB, auch zu meiner Zeit noch nicht. Ich war immer unter dem Druck auch, Pressekonferenzen zu machen. Ich habe das dann auch getan, aber das war mit der linken Hand und nicht sehr engagiert, auch nicht sehr gern.

Wir haben jetzt einen großen Bogen gemacht.

Darf ich noch gerade noch dies sagen? Die Herausforderung, die jetzt viel stärker geworden ist, das gehört auch mit zum Wandel, ist der Wandel der Universitäten. Und da das WZB in einem Komplementärverhältnis zu der Forschung der Universitäten steht, ist das WZB schon auch berührt von dem, was im Zeichen der Exzellenzinitiative entsteht. Also ich sagte früher einmal, man braucht für das WZB länger laufende große Projekte. Das ist mit der Exzellenzinitiative auch an Universitäten möglich, auch mit Leuten, die teilweise von der Lehre entlastet werden. Zweitens, es gibt interdisziplinäre Konstrukte, auch die Doktorandengeschichten sind da, das kann also nicht mehr ein singulärer Mehrwert des WZB sein, Internationalität, die Forschung insgesamt hat sich internationalisiert, und die Universitäten habe eine Fülle von internationalen Kontakten, Büros in Shanghai und New York, und da entsteht schon die Frage: Wo bleibt da die Besonderheit des WZB? Ich verfolge das auch als Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo wir über Exzellenzinitiative ja gearbeitet haben, wie jetzt doch schon in der Wissenschaftspolitik die Frage aufkommt: Können wir nicht auf die Leibniz-Gemeinschaft verzichten und die Institute integrieren in die Universitäten? Das ist eine ernsthafte Herausforderung, dem zu begegnen, und zwar nicht nur defensiv, sondern produktiv, also noch weiter zu verstärken das Verhältnis zu den Universitäten und vielleicht neue Wege zu finden. Obwohl ich nicht weiß, ob das WZB gleichermaßen unter Druck käme, wenn da Ernst gemacht würde. Es könnte sein, dass das WZB aufgestockt würde zu einem weiteren Max-Planck-Institut und nicht an Universitäten zurückfiele, aber das steht noch dahin und da muss die Präsidentin aufpassen.

Und wie ist damit umzugehen Ihrer Meinung nach: Lassen sich neue Alleinstellungsmerkmale finden? Oder eher noch verstärkte Kooperationen?

Es fällt mir die Lösungsformel dazu nicht ein. Das WZB hat die Vorteile, dass die Stärken, die jetzt auch die Universitäten ausbilden können, schon kapitalisiert sind. Also das WZB hat Erfahrungen und Netzwerke, die stehen seit langem. Es hat insofern immer noch bestimmte Vorteile, aber die sind weniger kategorial, absolut als relativ, und wie viel man daraus machen kann, weiß ich jetzt auch nicht. Ich glaube, zum Teil ist die Zusammenarbeit mit der Universität unausweichlich. Ob die so weit führt, dass man sagt, wenn man schon in diesem gesteigerten Ausmaß kooperiert, kann man sie gleich mit eingliedern, weiß ich nicht, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man das sagt, und dann müsste es Sonderformen geben an den Universitäten. Schützen kann das WZB hier nur das Interesse des Bundes. Das Land würde eher für eine Integration in Universität sein, denn die Universitäten sind sozusagen ihr Revier in der Bildungspolitik. Aber das besondere Interesse des Bundes gab es immer am WZB, Berlin-politisches Projekt, und das drückte sich darin aus, dass das WZB neben einem einzigen kleinen weiteren Institut nicht 50:50 in Bund-Land-Finanzierung stand, sondern 75:25. Der Bund würde das WZB glaube ich nicht einfach draufgeben und an die Universität wandern lassen, d. h. in reine Länderzuständigkeit überführen lassen. Gut, mal sehen, vielleicht leben wir ja noch so lange, um den Prozess zu verfolgen und sein Ende zu erleben.

Ja, Sie werden es beobachten.